Das doppelte Dilemma der FDP
Die FDP nimmt im deutschen Parteiensystem eine besondere Rolle ein. Sie ist sowohl wirtschaftspolitisch als auch gesellschaftspolitisch liberal – als einzige der etablierten Parteien. Genau diese Doppelrolle macht es der FDP jedoch schwer, stabile Wählerschichten an sich zu binden und in Koalitionen dauerhaft zu punkten.
Liberalismus in zwei Dimensionen
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Wirtschaftspolitisch liberal bedeutet: weniger Staat, mehr Markt, Eigenverantwortung und die Stärkung der unternehmerischen Freiheit.
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Gesellschaftspolitisch liberal bedeutet: individuelle Freiheitsrechte, Selbstbestimmung, weniger staatliche Eingriffe in das Privatleben – von Bürgerrechten bis hin zu Fragen wie Ehe für alle, Datenschutz oder Selbstbestimmungsgesetze.
Die meisten Wählerinnen und Wähler ordnen sich allerdings eher in einer Dimension ein: Entweder wirtschaftlich liberal-konservativ oder gesellschaftlich liberal-progressiv. Die Kombination beider Ansätze wird dagegen nur von einer vergleichsweise kleinen Gruppe vertreten.
In Koalition mit der Union
In Koalitionen mit der CDU/CSU konnte die FDP wirtschaftsliberale Forderungen leichter umsetzen. Gesellschaftspolitisch liberale Themen wurden dagegen oft vernachlässigt oder blockiert. So konnte die FDP etwa die Ehe für alle nicht durchsetzen, weil die Union dagegen stand. Das machte es der FDP schwer, sich in dieser Dimension zu profilieren.
In der Ampel
In der Ampel-Koalition ergab sich die umgekehrte Situation: Gesellschaftspolitisch liberale Reformen ließen sich leichter durchsetzen, weil SPD und Grüne ähnliche Vorstellungen hatten. Gleichzeitig wurde die FDP in der Wirtschafts- und Finanzpolitik als Bremser wahrgenommen – sowohl von den Koalitionspartnern als auch in der medialen Berichterstattung.
Ironischerweise gingen viele gesellschaftspolitische Erfolge der FDP im öffentlichen Diskurs unter, da es darüber kaum Streit gab. Für Gegner der Ampel wirkte es so, als ob die FDP alles mitmacht. Für die Koalitionspartner war sie dagegen die Blockiererin bei Haushalts- und Finanzfragen.
Die FDP und das „Weniger Staat“-Prinzip
Als einzige Partei tritt die FDP konsequent für weniger Staat ein – sowohl in der Wirtschaft als auch im gesellschaftlichen Leben. Weniger Staat bedeutet jedoch auch: weniger staatliches Gestalten. Stattdessen soll der mündige Bürger möglichst viele Entscheidungen selbst treffen können. Dieses Freiheitsversprechen ist im Kern positiv, steht aber im Kontrast zu den Vorstellungen der anderen Parteien, die stärker auf Regulierung, soziale Sicherung und staatliche Steuerung setzen.
Fazit
Die FDP steht also vor einem doppelten Dilemma:
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Politisch: In jeder Koalition muss sie in einem ihrer Kernfelder Kompromisse eingehen, wodurch sie schwer als klar erkennbar liberale Kraft wahrgenommen wird.
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Gesellschaftlich: Ihre Doppelposition – wirtschaftlich und gesellschaftlich liberal – entspricht nicht den Mehrheitspräferenzen der Wählerschaft, die eher nur eine Seite davon unterstützt.
Das macht es der FDP so schwer, sich weiterhin klar sichtbar im immer mehr ausdifferenzierten Parteiensystem zu verankern.