Höflichkeit und Freundlichkeit

  • Von Michael Crass
  • 29. September 2018

Sicher bricht man sich keinen Zacken aus der Krone, wenn man höflich ist. Natürlich führt Höflichkeit auch vielfach zu Dankesbekundungen und ist wohl an sich positiv konnotiert. Hier und da mag Höflichkeit angebracht oder wenigstens sinnvoll und nützlich sein, doch gibt es sehr gute Gründe, alle Höflichkeits-Imperative gründlich zu überdenken.

Was ist Höflichkeit?

Was ist Höflichkeit? Der Pädagoge Björn Köhler spricht von der Höflichkeit so:

"Ein weiteres und nicht zu unterschätzendes Moment der Achtung und des Ansehens ist, dass Sie als Lehrer, Erzieher, Ausbilder, Vater oder Mutter in so vielen Situationen wie nur möglich Kindern, Jugendlichen oder wem auch immer Ihre Achtung entgegenbringen, demonstrieren und einfordern.

Dabei bricht keinem erwachsenen Mann ein Zacken aus der Krone, wenn er ganz jungen 'Damen' einmal die Tür aufhält, [...]" (S. 60)

Dabei fällt erstens auf, dass es dem Pädagogen Köhler auf Ansehen und die Demonstration von Achtung geht. Es geht bei der Höflichkeit also primär um den Schein.

Zweitens fällt auf, dass es bei der Höflichkeit um etwas Traditionelles geht, eingelegt in alte Rollenmuster: Der Mann, der Herr, ist höflich zur Dame. Der Herr hat heutzutage Stil, wenn er auf diese Art und Weise der Dame Manieren zeigt. Eine Umfrage zum Thema "Höflichkeit" von YouGov aus dem Jahr 2015 bestätigt das Rollenverständnis:

"Sieben von zehn 18- bis 24-Jährigen (68 Prozent) und sogar 86 Prozent der Über-55 Jährigen sind der Meinung, dass Männer Frauen die Tür aufhalten und den Vortritt lassen sollten."

Neben der Abfrage nach dem alten Rollenmuster fragte die Umfrage noch ab, ob man Schwangeren einen Platz anbieten sollte, und etwa ob man im persönlichen Gespräch permanent auf das Handy schauen dürfe. An dieser Stelle scheint man auch von Respekt und von Freundlichkeit sprechen zu dürfen. Also sollte vielleicht ein Blick auf übliche Bedeutungen und Synonyme geworfen werden. Der Duden liefert zur Höflichkeit dies:

"höfliches, gesittetes Benehmen; Zuvorkommenheit; in höfliche, jemandem schmeichelnde Worte gekleidete, freundlich-unverbindliche Liebenswürdigkeit, die jemand einem anderen sagt"

Damit unterstützt der Duden, dass es sich um Äußerlichkeiten dreht, verweist aber auch auf Freundlichkeit. Was ist also Freundlichkeit?

Was ist Freundlichkeit?

Der Duden zeigt diese Assoziationen auf:

"Entgegenkommen, Gefälligkeit, Güte, Gutherzigkeit, Gutmütigkeit, Herzensgüte, Herzlichkeit, Höflichkeit, Innigkeit, Liebenswürdigkeit, Milde, Nettigkeit, Sanftmut, Verbindlichkeit, Wärme, Warmherzigkeit, Wohlwollen, Zuvorkommenheit; (veraltet) Kordialität"

Besonders fällt hier auf, dass es um Inneres geht. Wohlwollen oder Warmherzigkeit sind keine Äußerlichkeiten. Das sind innere Einstellungen. Bei der Freundlichkeit geht es nicht darum, etwas zu demonstrieren, es geht nicht um den Schein. Das heißt selbstverständlich nicht, dass das Innere auf den Schein auswirken kann. Aber genau das ist der Unterschied zwischen der Höflichkeit und der Freundlichkeit: Sie können beide gleich auf Mitmenschen wirken, aber die Motivation hinter ihnen unterscheidet sich. Freundlichkeit ist ein Selbstzweck, ein Wert an sich. Höflichkeit hat die Wirkung auf Mitmenschen zum Ziel.

Damit steht auch fest, dass man Höflichkeit fordern kann, nicht aber Freundlichkeit. Es scheint sich hier mit der Höflichkeit und der Freundlichkeit so zu verhalten wie mit Kants Verständnis von Recht und Ethik: Recht ist eine äußere Übereinstimmung, die man prüfen und abverlangen kann, während die Ethik (hier: die Motivation) nicht geprüft werden kann.

Der Nutzen der Höflichkeit

Am deutlichsten bringt Arthur Schopenhauer die Wirkung der Höflichkeit zum Ausdruck. Die folgenden Zitate gehören zu den Stellen seines Werkes, die ihn als Misanthropen erscheinen lassen, wie etwa im Buch "Die Schopenhauer-Kur" Buch von Irvin Yalom:

"Höflichkeit [ist] dem Menschen, was die Wärme dem Wachs." (Aphorismen zur Lebensweisheit. Kapitel 5: Paränesen und Maximen)

und

"Höflichkeit ist wie der Rechenpfennig eine offenkundig falsche Münze: Mit einer solchen sparsam zu sein, beweist Unverstand." (Aphorismen zur Lebensweisheit V, 36)

Wer also unhöflich ist, ist unklug, weil er damit ein Werkzeug zur Manipulation der Mitmenschen aus der Hand gibt. Außerdem nutzt er nicht, was keinen (allzu) großen Aufwand bedarf.

Schopenhauer liefert insofern Argumente dafür, höflich zu sein. Mit dieser Darstellung der Höflichkeit gibt er aber auch Auskunft über den Unterschied zwischen Höflichkeit und Freundlichkeit. Er sagt, was Freundlichkeit ist. Wer höflich ist, wirkt nämlich als sei er freundlich, bloß ohne den Aufwand zu betreiben, den der Freund (-liche) betreibt oder zu betreiben bereit wäre.

Fazit

Oftmals wird höflich gesagt und eigentlich nichts mehr als respektvoll gemeint. Vielleicht meint man auch häufig freundlich. Es mag daher kleinlich erscheinen, wenn man Unterschiede zwischen den Worten macht. Sinnvoll ist es dennoch, da es ganz offensichtlich auch Unterschiede zwischen den Taten oder Handlungen von Menschen gibt. Die Frage bei höflichen oder freundlichen Handlungen ist nämlich die Motivation hinter den Handlungen. Kommt es, wie in Zitaten nicht nur dezent angedeutet, bloß auf die Erscheinung an, so ist die hochgepriesene Höflichkeit eben unfreundlich. Ein Freund sollte nämlich erwarten dürfen, dass man nicht bloß vom potenziell erweckten Anschein motiviert ist, sondern aus einer bedeutungsvollen Beziehung zum Freund.


Literatur: Björn Köhler (2006), Die Schüler-Flüsterer. Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena.

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